Nadine Jacobi
Die "Pragmatisch Gepunktete Kirche"Teil 3

50 Shades of Grey

„Jetzt lassen Sie mal die Kirche im Dorf“, „Machen Sie mal ‘n Punkt“ und „Sie müssen das pragmatisch sehen“. Sprüche wie diese hören Compliance Officer öfter als alle anderen. Sie sind ärgerlich, nervig und sollen die sachliche Diskussion abwürgen – ich nenne sie „pragmatisch gepunktete Kirchen“ – oder kurz „pgK“.

Leider beschränkt sich das verbale Repertoire von manchen Führungskräften nicht auf die eingangs erwähnten „Klassiker“ der schlechtesten Manager-Sprüche. Eine echte „Rhetorik-Perle“ begegnet einem Compliance Officer, wenn der Kollege die sprichwörtliche Kirche verlässt und sich stattdessen einer – mehr oder weniger – farbigen Metapher bedient. Angelehnt an „50 Shades of Grey“ hört sich das für uns als Compliance Officer dann so an:

 „Es gibt Graubereiche, in denen man sich bewegen kann“.

Was halten Sie von einer Antwort wie dieser?

„Grau ist die Mischung aus weiß und schwarz. Wenn weiß für die Einhaltung von Gesetz und Moral steht, wofür steht dann schwarz?“

Meine Sicht ist hier ganz klar: Es gibt, wenn überhaupt, nur sehr wenige Grauzonen. Fast alle der vermeintlichen Grauzonen entpuppen sich später als das, was sie sind: extensive Auslegungen des angeblich noch Zulässigen zum eigenen Vorteil. Meistens wird dabei versucht, den Farbregler hin zum schwarzen Bereich immer weiter zu verschieben, frei nach dem Motto: „Das geht noch und das auch noch, und, ach ja, das muss dann ja auch noch möglich sein…“

Die Cum-Ex Geschäfte sind hierfür ein aktuelles Beispiel. Dass es irgendwie nicht richtig sein kann, sich eine lediglich einmal abgeführte Kapitalertragssteuer mehrfach vom Staat erstatten zu lassen und damit eben nicht mehr im Graubereich liegen kann, versteht sogar Gretchen Müller – auch ohne juristische Ausbildung. Aber diese Denke steht im Widerspruch zu dem exzessiven Suchen und Ausloten von Grauzonen, die dann dem Geschäftsführer als „Lösungen“ präsentiert werden sollen.

Geht es um vermeintlich geringfügige Verstöße, wird aus Sicht mancher Kollegen die Grauzone lediglich etwas dunkler. Oft folgt dann eine „pgK“- wie diese:

„Wegen solcher Kleinigkeiten ist noch nie ein Unternehmen in Schwierigkeiten geraten.“

Damit gibt der Kollege natürlich bereits selbst zu, dass die Handlung nicht legal ist; er scheint aber überzeugt, dass sie legitim sei. Unsere Antwort darauf könnte wie folgt lauten:

„Was meinen Sie mit ‚Kleinigkeiten‘? So etwas wie das eine Glas Wein zu viel bei Frau Käßmann? Die private Nutzung dienstlich gesammelter Flugmeilen durch  Herrn Özdemir? Oder das bisschen Betäubungsmittel des zurückgetretenen Grünen-Politikers Volker Beck?“

Bei der Einstufung als „Kleinigkeit“ betrachten Mitarbeiter häufig nur ihren eigenen „kleinen Bereich“. Dazu zählt auch der Außendienstmitarbeiter des Pharma-Herstellers, der den einflussreichen Key Opinion Leader, Prof. Dr. Soundso, auf Firmenkosten zu einem Wochenende nach Madrid einlädt. Er ist fest davon überzeugt, dass wegen lächerlicher 650 Euro für den Professor nebst Gattin kein Staatsanwalt ermitteln werde.

Was der Außendienstler nicht weiß: Sein Kollege aus dem Bereich Aus- und Fortbildung pflegt mit diesem wichtigen Auftraggeber ebenfalls Geschäftsbeziehungen und hat im Zuge dessen mit ihm auch Referentenverträge abgeschlossen. Vereinbart ist eine mehr als großzügige Vergütung, zum Beispiel eine Tagespauschale inklusive Übernahme der Kosten im Vier-Sterne-plus-Hotel am darauffolgenden Wochenende und Business-Class-Flug, und das für einen bereits mehrfach gehaltenen Vortrag von einer Stunde Dauer. Und dann sind da noch die Kollegen aus dem Bereich Medical Affairs, die mit dem Professor einen Drittmittelvertrag zur Unterstützung einer für den Professor wichtigen Studie unterschrieben haben. Nicht zu vergessen das kostenlose Test-Gerät, das er „ganz aus Versehen“ nach Ablauf der Testphase nie wieder zurückgeschickt hatte…

Bei Staatsanwälten zählen auch Kleinigkeiten (zusammen)

In der Gesamtschau wird so schnell aus einer vermeintlichen „Kleinigkeit“ ein ansehnlicher Betrag, den der Professor vom Unternehmen insgesamt erhalten hat. Und genau diese Abfrage macht der ermittelnde Staatsanwalt und stellt fest: Jene Repräsentanten der wichtigsten Unternehmenskunden sind überraschenderweise auch diejenigen, die die höchsten Zuwendungen insgesamt erhalten haben.

Natürlich stoßen wir mit diesen Hinweisen nicht auf Gegenliebe. Höflich formuliert. Dass Gegenliebe jedoch nicht zu unserer Aufgabenbeschreibung gehört, habe ich bereits in einem Blog-Beitrag meiner vorherigen Reihe „Compliance Officer“ ausführlich kommentiert. Unser Gegenüber fühlt sich nun jedenfalls endgültig herausgefordert – und holt zum vermeintlich großen Finalschlag aus:

 „Unsere Wettbewerber lächeln über unsere Compliance-Vorgaben.“

Rumms. Jetzt erkennen wir: Die Verzweiflung scheint wirklich groß zu sein. Die Behauptung steht nun im Raum, klingt auf den ersten Blick beeindruckend und der Vertriebsmitarbeiter glaubt, den Compliance Officer in die Defensive gedrängt zu haben. Er wartet nun auf die Rechtfertigung. Hier lässt sich wunderbar antworten:

 „Nur weil viele beim Discounter stehlen, ist es deswegen trotzdem nicht zulässig.“

Oder wir bleiben einfach gelassen. Denn meistens handelt es sich hierbei um Gerüchte. Ihr Wahrheitsgehalt wurde nie überprüft, und keiner weiß mehr, von wem dies eigentlich mal festgestellt worden sein soll. Für uns ergeben sich dadurch sachliche Rückfragen:

 „Was genau wird anders gemacht, bitte nennen Sie ein konkretes Beispiel?“

“Wie sieht der Kontext aus?“

“Hat das Unternehmen eine Compliance Abteilung,  wurde diese eingebunden?“

Oftmals fällt das rhetorische Kartenhaus dann ganz schnell in sich zusammen.

Sollte die Behauptung doch zutreffen und sind der Sachverhalt und der gesetzliche Rahmen tatsächlich vergleichbar… bieten Sie an, dass Sie sich gerne einmal mit dem Compliance Officer des anderen Unternehmens austauschen, da Sie offen für einen Argumentationsaustausch und zulässige Lösungswege sind.

Welche Repliken haben Sie schon einmal erfolgreich auf die heutigen PGK-Wünsche eines Managers verwendet? Waren es Wünsche aus der Pippi Langstrumpf-Welt… ich bau mir die Welt, wie sie mir gefällt? Oder ging es um konstruktive Vorschläge, die es lohnten, diskutiert und weiterverfolgt zu werden?

Schreiben, kommentieren, kritisieren Sie! Teilen Sie die dümmsten, frechsten, unglaublichsten pgK-Sprüche aus Ihrem Arbeitsalltag.

Ich freue mich über Ihre Anregungen und greife Sie gerne in meinem nächsten Blog auf, anonymisiert oder mit Namensnennung, ganz wie Sie möchten.

Bis nächste Woche. Bleiben Sie bis dahin gesund und compliant!

 

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